Die aufregende Leseprobe zum neuen Ostfrieslandkrimi „Juister Grab“ von Bestseller Autorin Sina Jorritsma!
Der neue Ostfrieslandkrimi „Juister Grab“ von Sina Jorritsma versetzt die Leserschaft wieder ins Staunen. Für alle Unentschlossenen gibt es hier eine Leseprobe aus dem neuen Kriminallfall der beiden Inselkommissare Antje Fedder und Roland Witte. Viel Spaß!
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Eine Leiche auf einem Friedhof war nichts Ungewöhnliches, und dies galt auch für die letzte Ruhestätte zwischen den Juister Dünen. Hier wurden nicht nur Einwohner und Besucher der beliebten Nordseeinsel beerdigt, sondern auch unbekannte Tote, die von der Flut an die Strände des ›Töwerlands‹ gespült worden waren. Aber diese leblose junge Frau lag nicht in einem Sarg, sondern zwischen den Grabsteinen – auf der Seite, die Beine angezogen. Ihr Körper war in ein altertümliches Gewand gehüllt, ein weinrotes bodenlanges Kleid mit Mieder und weißem Spitzenbesatz. Eine äußere Wunde war auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Noch ließ sich nicht sagen, ob sie durch Fremdeinwirkung ums Leben gekommen war oder es eine natürliche Todesursache gab.
Kommissarin Antje Fedder von der Polizei Juist kniete neben dem Leichnam und tastete nach der Halsschlagader. Die Haut fühlte sich kalt und hart an. Kommissar Roland Witte stand zwei Schritte von ihr entfernt neben einem Grabstein aus dem 18. Jahrhundert. Er steckte sein Smartphone ein, mit dem er soeben telefoniert hatte.
»Der Arzt macht sich gleich auf den Weg hierher«, teilte er seiner Kollegin mit, die privat gleichzeitig seine Freundin war. Antje nickte. Eine Obduktion war auf der kleinen Insel nicht möglich. Später würde die Leiche zu diesem Zweck zum Gerichtsmedizinischen Institut Oldenburg überführt werden. Aber zunächst musste ein hiesiger Arzt den Tod bescheinigen.
Antje war noch ganz in die Betrachtung der toten Frau versunken. Sie war ihrer Meinung nach zu Lebzeiten eine Schönheit gewesen. Antje schätzte ihr Alter auf Mitte zwanzig. Das Haar war blond und zu einem Dutt geformt, so wie das der Kommissarin. Der Kopf der Leiche lag nach links gedreht, so dass man die wertvolle Kreole der Toten sehen konnte. Es war ein auffälliges Stück aus Weißgold, mit Brillanten besetzt.
»Weißt du eigentlich, warum Seeleute in früheren Zeiten einen einzelnen goldenen Ohrring trugen, Roland?«, murmelte sie nachdenklich.
Der dunkelhaarige Inselpolizist zuckte mit den Schultern. »Nee, Antje. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Landratte wie ich bei solchen maritimen Fragen passen muss. Aber du wirst es mir gleich verraten, schätze ich.«
Als Tochter eines pensionierten Fahrensmanns und gebürtige Juisterin war die Kommissarin natürlich über seemännische Traditionen gut informiert: »Wenn ein Matrose im Sturm über Bord ging und ertrank, dann sollte mit dem Edelmetall seine Beerdigung bezahlt werden – vorausgesetzt, die Leiche wurde irgendwo angespült.«
»Ich verstehe«, erwiderte Roland, wobei er auf den Ohrschmuck zeigte: »Könnte der Täter aus diesem Grund die Kreole nicht mitgenommen haben?«
»Noch wissen wir gar nicht, ob überhaupt ein Verbrechen stattgefunden hat«, erwiderte Antje. Allerdings waren die Umstände des Leichenfunds seltsam genug. Die Kommissarin schaute auf ihre Armbanduhr. Es war kurz nach neun Uhr morgens. Die Polizisten waren nicht etwa alarmiert worden, sondern hatten während ihrer routinemäßigen morgendlichen Patrouille auf dem Dünenfriedhof nach dem Rechten geschaut. Sie kontrollierten alle öffentlichen Einrichtungen, vom Schiffchenteich bis zu den verschiedenen Spielplätzen. Vandalismus gehörte auf dem idyllischen Eiland glücklicherweise nicht zum Alltag.
Sie schaute sich um. Gab es außer der Toten im altertümlichen Kleid anderes Ungewöhnliches? Jedenfalls deutete nichts auf Grabschändung hin. Die steife Brise rauschte durch die Baumwipfel, außerdem zwitscherten einige Vögel. Andere Geräusche waren momentan nicht zu hören. Auf der Insel wehte meist ein kräftiger Wind, auch an diesem sonnigen 11. Juli. In unmittelbarer Nähe der Toten gab es keinen Hinweis auf ihre Identität.
»Jemand muss diese Frau vermissen«, vermutete Antje. »Ich will aber nicht warten, bis sich Angehörige oder Freunde auf der Wache melden. Wir sollten nach einer Handtasche, einem Beutel oder Ähnlichem Ausschau halten – auch in der Kapelle.«
Sie deutete auf die kleine Kirche, die wie viele andere Gebäude auf der Insel aus roten Backsteinen errichtet worden war. Roland nickte und bewegte sich langsam gehend von der Leiche weg, wobei er seinen Blick über die Gräberreihen schweifen ließ.
Antje überlegte: Seit wann konnte die Tote hier liegen? Der Dünenfriedhof wurde regelmäßig von trauernden Angehörigen besucht, allerdings nur tagsüber. Sie würden gewiss Alarm geschlagen haben, wenn sie die Tote in der ungewöhnlichen Gewandung entdeckt hätten. Vermutlich war die Frau hier nach Einbruch der Dunkelheit zwischen den Gräbern niedergesunken – und zwar für immer. Aber warum trug sie ein Kleid, das aus dem 19. Jahrhundert hätte stammen können? Die Ärmel reichten nur bis zu den Ellenbogen, auf ihren bloßen Unterarmen waren keine Tattoos zu sehen. Wer war diese Frau? Mit Sicherheit gehörte sie nicht zu den ständigen Bewohnern der Insel. Auf Juist lebten ganzjährig nur ungefähr 1.500 Menschen. Die Kommissarin kannte sie alle vom Sehen, die meisten sogar mit Namen. Wenn die Tote also vermutlich eine Urlauberin war, würde ihr Wegbleiben früher oder später auffallen – entweder bei ihren Mitreisenden oder beim Betreiber der Ferienunterkunft.
Während ihr diese Überlegungen durch den Kopf gingen, machte Antje etliche Fotos von Gesicht und Körper der Leiche, außerdem von der Auffindesituation. Nun ertönte der Klang eines Pkw-Motors, was auf dem autofreien Eiland ungewöhnlich war. Nur die Feuerwehr, der Rettungsdienst sowie die wenigen hier praktizierenden Badeärzte verfügten über Autos. Antje und Roland bewegten sich ausschließlich auf Fahrrädern fort, so wie die meisten Insulaner es taten. Für größere Lasten griff man auf Pferdefuhrwerke zurück. Der Mediziner hatte seinen Wagen zum Stehen gebracht und eilte nun mit seiner Instrumententasche in der Hand auf Antje zu.
»Moin, Herr Doktor. Wir haben die Tote vor ein paar Minuten hier gefunden.«
Der Arzt nickte und begann mit der Untersuchung.
»Antje!«
Ihr Kollege stand östlich von der Kapelle und winkte die Kommissarin zu sich. Im Näherkommen sah sie, was Roland bemerkt hatte: Ein frisch ausgehobenes Grab.
»Wenn du mich fragst, dann war hier nicht der offizielle Totengräber am Werk«, meinte er.
»Das vermutest du, weil die Grube quer zu den vorhandenen letzten Ruhestätten gegraben wurde?«
Der Kommissar nickte: »Ja, richtig. Außerdem müssen wir Theo bloß fragen – er wird schon wissen, wann er das letzte Mal hier gearbeitet hat.«
Antje hatte auch schon daran gedacht, mit Theo Weerts zu sprechen. Er war Friedhofsgärtner und Bestatter in einer Person. Es gab niemanden auf der Insel, der die Begräbnisstätte so gut kannte wie er.
»Angenommen, jemand wollte die junge Frau hier verscharren – warum ist es nicht geschehen?«, überlegte Antje.
»Weil der Täter gestört wurde, eine andere Erklärung fällt mir auf Anhieb nicht ein«, erwiderte Roland und fügte hinzu: »Übrigens ist es eine miserable Idee, eine Leiche auf diese Art verschwinden zu lassen. Sicher, dies ist ein Friedhof. Aber zumindest Theo würde sofort merken, dass ein Grab sozusagen außer der Reihe ausgehoben wurde.«
»Es sei denn, er selbst hätte die Tote beseitigen wollen«, meinte Antje, »aber wenn man auf Juist einen Körper für immer verschwinden lassen will, kann man ihn besser zur passenden Zeit und an der richtigen Stelle in die Nordsee werfen. Die starke Strömung erledigt den Rest.«
An verschiedenen Juister Stränden herrschte aus diesem Grund ein zeitweises Badeverbot. Wer von der Kraft des Wassers aufs offene Meer gezogen wurde, spielte mit seinem Leben.
»Die Kapelle ist übrigens abgeschlossen, ich konnte dort auch keine Einbruchspuren entdecken«, sagte Roland. »Der Geräteschuppen hingegen ist offen; ich weiß nicht, ob Theo ihn normalerweise abschließt. Auf jeden Fall hätte der Täter sich dort Spaten und Schaufel nehmen können, falls er diese nicht bei sich führte.«
Mit diesen Worten sprang er in das offene Grab, um dich dort genauer umzuschauen.
»Hier liegt etwas!«
Der Kommissar zog einen Latexhandschuh über, bückte sich und zeigte Antje sein Fundstück. Es war eine metallene Gürtelschnalle, vielleicht aus Bronze oder Kupfer.
»Was denkst du – ob die antik ist?«, rätselte er.
»Ich bin keine Expertin, das müsste ein Fachmann beurteilen. Die Tote trägt keinen Gürtel, wobei diese Schnalle sowohl zu einem Männer- als auch zu einem Frauengürtel passen könnte.«
»Gibt es wirklich unterschiedliche Frauengürtel und Männergürtel?«
»Zumindest für diejenigen von uns, die keine Modemuffel sind«, scherzte Antje, fügte aber ernsthaft hinzu: »Ich schätze, die meisten Gürtelschnallen sind Unisex.«
»Wie auch immer – mir würde es schon reichen, wenn sich auf dem Ding Fingerabdrücke nachweisen ließen.«
Mit diesen Worten verstaute Roland die Schnalle sorgfältig in einem der Beweismittelbeutel, die er immer bei sich trug.
»Du denkst, es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Grab und der Toten?«
»Bist du anderer Meinung, Antje? Seit ich auf Juist lebe, schauen wir uns regelmäßig auf dem Dünenfriedhof um. Nur ein einziges Mal haben wir einen betrunkenen Urlauber gefunden, der hier eingeschlafen ist. Das war die einzige Unregelmäßigkeit in diesen Jahren – und nun gibt es plötzlich zwei Ereignisse in nur einer Nacht?!«
»Ich glaube auch nicht an Zufälle, aber mir fehlen momentan einfach noch zu viele Fakten«, stellte sie klar.
Der Arzt kam auf die Polizisten zu. Er hielt einen Gegenstand in den behandschuhten Fingern, aber noch konnte man nicht genau sehen, was es war.
»Vermutlich wurde die Frau vergiftet«, erklärte der Mediziner, »die ungewöhnliche Verfärbung der Zunge deutet darauf hin. Es kann sich um ein neuartiges chemisches Toxin handeln, das müssen die Kollegen in Oldenburg herausfinden. Was den Todeszeitpunkt angeht, so könnte er zwischen Mitternacht und sechs Uhr heute früh liegen.«
Der Arzt wirkte irritiert. Er machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Ich habe mir den Körper des Opfers unter dem Kleid genauer angeschaut. Es hätte ja eine Wunde geben können, die zunächst nicht bemerkt wurde. Das war aber nicht der Fall. Stattdessen habe ich dies hier entdeckt. Es war an ihrem rechten Oberschenkel befestigt.«
Mit diesen Worten überreichte er Antje ein Lederetui, an dem zwei lange Bänder hingen. Darin steckte ein Stilett …
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Klappentext:
Eine Leiche auf dem Juister Dünenfriedhof! Nichts Ungewöhnliches, sollte man meinen, doch die tote junge Frau liegt nicht in einem Sarg, sondern zwischen den Grabsteinen, und wurde ganz offensichtlich vergiftet. Die beiden Inselkommissare Antje Fedder und Roland Witte sehen sich mit einigen Merkwürdigkeiten konfrontiert: Das Opfer trägt eine altertümliche lange Robe, ist mit einem Stilett bewaffnet und in der Nähe gibt es ein frisch ausgehobenes Grab, in dem eine einzelne bronzene Gürtelschnalle liegt! Es stellt sich heraus, dass Vanessa Dellkamp Pflegerin des Millionärs Bernhard Fiedler war, der seit Kurzem mit seiner Entourage auf Juist residiert. Als sie die Mitglieder des Haushalts befragen, wird sehr schnell deutlich, dass die Männer sie sehr schätzten, teils geradezu verehrten, während die Frauen kein gutes Haar an ihr lassen. Das Mordmotiv? Eifersucht, Rache, enttäuschte Liebe? Ihre Befragungen decken so einiges davon auf, doch richtig Bewegung kommt in die Ermittlungen erst, als Hinweise auf einen jahrzehntealten Raubmord auftauchen. Aber was hatte die junge Frau, die damals noch gar nicht geboren war, damit zu tun?
Der Ostfrieslandkrimi »Juister Grab« ist als Taschenbuch und E-Book bei den bekannten Anbietern erhältlich wie:
Eine Übersicht über die Reihenfolge der Bücher finden Sie hier.
Mehr über die Kommissare Witte und Fedder können Sie im Steckbrief erfahren.
Das Team von Ostfrieslandkrimi.de wünscht viel Spaß beim Lesen!