Die fesselnde Leseprobe zu Sina Jorritsmas nächstem Ostfrieslandkrimi-Hit aus der Reihe „Mona Sanders und Enno Moll ermitteln“!
Eine Entführung auf Borkum sorgt für Aufsehen und bringt eine Kette an Ereignissen mit sich. In dieser fesselnden Leseprobe von Sina Jorritsma’s neuestem Ostfrieslandkrimi gibt es einen kleinen Einblick in die Geschichte. Viel Freude!
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»Moin, Frau Smit«, sagte Dr. Siemers. Die Polizeimeisterin stand auf und trat beiseite, um dem Arzt Platz zu machen: »Moin, Doc. Hier gibt es Arbeit für Sie!«
Grietje deutete auf die mit einem dunkelblauen T-Shirt und einer Jeans bekleidete Leiche, die neben dem Bett lag. Die brünette Tote war schätzungsweise Mitte dreißig. Sie hatte weder Schuhe noch Strümpfe an. Abgesehen von den blutigen Striemen, die durch den Draht um ihren Hals verursacht worden waren, wies ihr Körper auf den ersten Blick keine weiteren Verletzungen auf. Aber natürlich konnten andere Wunden unter der Kleidung verborgen sein. Mona schaute sich das kleine Zimmer genauer an.
Die Ausstattung entsprach dem, was man in einer preisgünstigen Borkumer Frühstückspension erwarten konnte: ein Bett, ein Kleiderschrank, ein kleiner Schreibtisch, ein Lehnstuhl und ein an der Wand befestigtes TV-Gerät. Die Tapete war schon vor zehn Jahren altmodisch gewesen. Außerdem gab es eine Kommode, auf der ein Wasserkocher und ein Kaffeebecher standen. Eine schmale Tür führte zur fensterlosen Nasszelle. Eine Schublade war tatsächlich aus dem Schrank gezogen worden, um als improvisiertes Kinderbettchen zu dienen.
Der Kommissarin fiel sofort auf, dass in einer Ecke eine Reisetasche mit Windeln, Feuchttüchern, Puder, und weiteren Babypflegemitteln stand. Daneben lag ein Tragegeschirr, darin hatte die Täterin das entführte Kind vermutlich hierher transportiert. Offensichtlich war die Entführung sorgfältig vorbereitet worden. Mona kam ein Gedanke, der mit dem Transport des Babys zusammenhing: »Wie hat Hinderk die Kleine überhaupt ins Krankenhaus geschafft?«
»Dafür benutzte er die Auto-Babyschale, die hier im Zimmer stand«, antwortete Grietje, »denn so eine Gerätschaft gehört ja nun mal nicht zur Standardausrüstung eines Streifenwagens. – Das Kind hat heftig geweint, als wir hier eintrafen. Aber ihr hättet mal sehen sollen, wie schnell ich es beruhigen konnte, als ich es hochgenommen und in meinen Armen gewiegt habe. Ich bin eben ein Naturtalent, eines Tages werde ich eine erstklassige Mama sein!«
Bei diesem Thema konnte die Kommissarin natürlich ihren Mund nicht halten.
»Auf meiner Hochzeit hast du noch getönt, dass du niemals heiraten wolltest«, erinnerte Mona. Die junge Kollegin zuckte mit den Schultern: »Ja, na und?! Erstens war ich an dem Abend nicht mehr ganz nüchtern, und zweitens muss ich keinen Ehering an den Finger gesteckt bekommen, um schwanger zu werden. Apropos: Wie sieht es eigentlich bei dir und Jan mit Nachwuchs aus?«
»Darum geht es nicht, wir müssen hier einen Mordfall aufklären«, erwiderte die Kommissarin gereizt. Sie war hauptsächlich auf sich sauer, weil sie auf Grietjes Spruch eingegangen war und ihr dadurch eine Steilvorlage geliefert hatte. Dabei wusste sie aus Erfahrung, dass die Polizeimeisterin zu Übertreibungen neigte und sich stets in einem vorteilhaften Licht darstellte. Vermutlich war es in Wirklichkeit ihr ruhiger und besonnener Kollege Hinderk gewesen, der das Kind zur Ruhe bringen konnte. Denn andernfalls hätte es ja mehr Sinn gemacht, wenn Grietje mit Sabrina ins Krankenhaus gefahren wäre und nicht Hinderk.
Immerhin schien die junge Kollegin zu kapieren, dass sie Mona jetzt nicht weiter reizen durfte. Zumindest hielt sie für den Moment die Klappe. Während die beiden Polizistinnen miteinander sprachen, hatte Dr. Siemers mit der Untersuchung des Leichnams begonnen. Und Enno nahm die Zimmertür genauer in Augenschein: »Ich kann keine Einbruchspuren erkennen. Entweder hat die Frau ihrem Mörder geöffnet oder er hat sich mit einem Nachschlüssel Zugang verschafft. Das Schloss ist uralt, jeder halbwegs begabte Kriminelle kann es innerhalb einer Minute knacken.«
Die Kommissarin war ihm dankbar dafür, dass er die Aufmerksamkeit wieder auf die Ermittlung lenkte. Sie zog sich Latexhandschuhe über und ging zum einzigen Fenster und öffnete es.
»Theoretisch hätte der Mörder auch auf diesem Weg eindringen können, immerhin sind wir im Erdgeschoss. Hier sehe ich keine Werkzeugspuren, aber das hat nichts zu bedeuten. Wenn die Kidnapperin nur kurz lüften wollte, kann er diesen Moment genutzt haben, um hereinzukommen.«
Nun musste auch Grietje wieder ihren Senf dazugeben: »Euch ist schon klar, dass hier keine Kampfspuren zu sehen sind? Entweder hat der Killer die Frau kalt erwischt, sodass sie sich nicht wehren konnte – oder sie hat ihm vertraut und ihm in einem Moment den Rücken zugedreht, als sie das nicht hätte tun sollen.«
Mona musste der Polizeimeisterin innerlich recht geben. Grietje war frech und vorlaut, aber nicht dumm. Die Kommissarin glaubte auf keinen Fall, dass es sich um eine Zufallstat handelte. Ob der Mord in Zusammenhang mit der Kindesentführung stand? Aber warum hatte der Täter das Baby dann nicht mitgenommen?
»Als Frau Bracksiek euch die Tür geöffnet hat – war das Zimmer abgeschlossen?«, fragte Enno. Grietje nickte: »Ja, und der Schlüssel steckte zum Glück nicht von innen – sonst hätte es noch länger gedauert, hereinkommen zu können.«
Man durfte auch die Möglichkeit nicht ausschließen, dass einer der anderen Pensionsgäste der Täter war. In dem Fall musste der Mörder sich noch nicht einmal zum Gebäude Zugang verschaffen, wie Mona sich vor Augen führte. Außerdem hatte Frau Dohle – falls das ihr echter Name war – vielleicht schon beim Frühstück oder zu einer anderen Gelegenheit mit ihm gesprochen und dadurch Vertrauen gefasst.
Mona schloss das Fenster wieder und betrachtete das Bett genauer. Es sah nicht danach aus, als ob jemand darin geschlafen hätte. Was hat Frau Dohle nach dem Kindesraub vorgehabt?, fragte sie sich. Die wahrscheinlichste Möglichkeit bestand darin, mit dem gekidnappten Baby die Insel umgehend zu verlassen. Hätte dieser Plan funktioniert? Ja, das war durchaus denkbar. Die Kommissarin rechnete zurück: Von dem Zeitpunkt an, als die Entführerin mit dem Baby aus dem Ferienhaus verschwand, hätte sie ohne große Eile eine Autofähre erwischen können – entweder die nach Eemshaven in den Niederlanden oder die Verbindung nach Emden. Das Vorhandensein der Pkw-Babyschale war ein Hinweis, dass die Täterin ein Fahrzeug zur Verfügung haben musste.
Aber warum hatte sie dann ihren Wagen nicht benutzt, um so nahe wie möglich an das Ferienhaus der Kochs heranzukommen? Dafür gab es mehrere mögliche Gründe. Einer bestand darin, dass Frau Dohle befürchten musste, dass Sven oder Jessica Koch ihr Fahrzeug kannten. Zu dieser Annahme passte auch Kochs Widerwillen gegen die Ermittlungen, sobald er seine Tochter in Sicherheit wähnen konnte. Er wusste oder ahnte, wer die Tat begangen haben konnte. Ob er persönlich mit der Täterin abrechnen wollte? Ermordet haben kann er sie jedenfalls nicht, dachte die Kommissarin.
Sie und ihr Kollege konnten Koch ein lückenloses Alibi geben. Den Ermittlern war noch nicht bekannt, wann genau Frau Dohle erdrosselt worden war. Es passte schon vom Zeitablauf her überhaupt nicht, Koch dieser Tat zu verdächtigen. Mona ging trotzdem davon aus, dass er etwas zu verbergen hatte. Ob der Mörder der Kidnapperin aufgelauert hatte? Oder war die Entführung von zwei Personen begangen worden? Dies würde erklären, warum Frau Dohle gegenüber ihrem Killer arglos gewesen war.
»Der Körpertemperatur nach zu urteilen ist die Person vor ungefähr einer Stunde umgebracht worden«, sagte Dr. Siemers, der nun seine erste Untersuchung des Leichnams abgeschlossen hatte. Er fuhr fort: »Der Tod ist aufgrund der unterbrochenen Sauerstoffzufuhr zum Gehirn eingetreten, hervorgerufen durch das Strangulieren mit einem Draht. Weitere Einzelheiten können Sie gewiss nach der Obduktion bekommen.«
Die Leichenöffnung musste im gerichtsmedizinischen Institut Oldenburg vorgenommen werden, dafür gab es auf der Insel keine Möglichkeit. Der Leichnam wurde zu diesem Zweck von einem Bestatter per Fähre aufs Festland überführt. Der Arzt verabschiedete sich, nachdem er den Totenschein ausgefüllt und Enno gegeben hatte.
»Wir benötigen mehr persönliche Daten des Opfers«, meinte Mona, »und als Erstes möchte ich herausfinden, ob sie wirklich Viola Dohle hieß und ob ein Pkw auf sie zugelassen ist.«
»Die Mühe könnt ihr euch sparen, ich hab schon ihre Ausweise gecheckt«, warf Grietje lässig ein. Sie zog ein Schubfach des Schreibtischs auf und fischte eine Handtasche heraus: »Hier, fang!«
Das tat Mona natürlich, bevor sie kopfschüttelnd den Inhalt überprüfte. Der Personalausweis war auf den Namen Viola Henriette Dohle ausgestellt, offiziell gemeldet war die Frau in Hildesheim. Und der Fahrzeugschein sowie der Führerschein deuteten darauf hin, dass sie ein Auto besaß, das in ihrer Heimatstadt zugelassen war.
»Ein Smartphone suche ich in der Tasche vergeblich«, murmelte die Kriminalistin.
»Das Gerät wird der Täter mitgenommen haben, um uns die Ermittlungen zu erschweren«, gab Grietje altklug zurück.
»Wir sollten zunächst die Pensionsgäste befragen«, sagte Enno, »Danach möchte ich erfahren, wie es der Kleinen geht.«
»Sie ist wohlauf«, behauptete Grietje, »eine Mama spürt so etwas.«
Mona rollte mit den Augen: »Bist du jetzt Sabrinas Mutter, nur weil du sie ein paar Minuten lang auf dem Arm gehabt hast?«
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Klappentext
Ein entführtes Baby auf Borkum!
Die Inselkommissare Mona Sander und Enno Moll werden in ein Ferienhaus gerufen, denn dort ist das Baby des Ehepaars Koch entführt worden. Doch kaum ist das Gespräch mit den verzweifelten Eltern beendet, überbringt Polizistin Gretje Smit die frohe Botschaft: Die kleine Sabrina liegt wohlbehalten in einer Pension! Die mutmaßliche Kidnapperin, Viola Dohle, hatte hingegen nicht so viel Glück, denn ihre Leiche befindet sich im gleichen Raum wie das Baby. Wollte sie von den wohlhabenden Eltern Lösegeld erpressen oder gab es noch ein anderes, persönlicheres Motiv für die Entführung? Als es den Borkumer Kommissaren gelingt, das Auto der Toten aufzuspüren, finden sie dort eine Waffe, die bereits bei einem Raubmord benutzt wurde. War die Tote in der Vergangenheit etwa noch in andere kriminelle Aktivitäten verwickelt, die ihr schließlich zum Verhängnis geworden sind?
Der Ostfrieslandkrimi »Friesenbaby« ist bei den bekannten Anbietern erhältlich wie:
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Viel Freude beim Lesen wünscht
Das Team von www.ostfrieslandkrimi.de